Teile nicht nur zur gewünschten Zeit und in der richtigen Menge, sondern auch in der passenden Reihenfolge anzuliefern – das ist die hohe Kunst von JIS!
E-Mobilität, Digitalisierung und sich wandelnde Kundenwünsche stellen nicht nur die OEMs, sondern auch die Automotive-Zulieferer vor etliche neue Herausforderungen. Um ihnen wirksam zu begegnen, sind Innovationen und Kooperationen gefragt. Und: schlanke Prozesse – insbesondere bei der Just-in-Sequence-Montage und -Logistik.
Für das Klima ist E-Mobilität eine enorme Chance. Für die Mitarbeiter bei OEMs und Zulieferern ist sie eher ein Risiko. Und zwar ein Job-Risiko. Eine Expertenkommission schätzte jüngst, dass durch die Umstellung vom Verbrennungsmotor auf den Elektromotor im Extremfall bis zu 410.000 Arbeitsplätze in Deutschland wegfallen. Hinzu kommen die Effekte der Digitalisierung. Aufgaben, die heute noch von Menschen erledigt werden, werden sukzessive von Technologien übernommen. Elektrifizierung und Digitalisierung haben aber nicht nur negative Einflüsse auf der Personalebene. Auch die Unternehmensebene ist betroffen. Für Zulieferer heißt das konkret: Zum Teil sinkt die Nachfrage nach ihren Produkten – weil diese ausschließlich für Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren benötigt werden. Zum Teil müssen sie sich auf neue Anforderungen der OEMs einstellen.
Den einen Weg aus der aktuellen Krise gibt es sicher nicht. Vielmehr sollten verschiedene Ansätze kombiniert werden: Eine intensivere Entwicklung von Innovationen bei den Produkten und beim Geschäftsmodell gehört gewiss ebenso dazu wie strategische Kooperationen mit anderen Zulieferern und Herstellern. Unverzichtbar ist außerdem die Forcierung der Lean-Idee. Was Toyota schon seit den 1950er Jahren vormacht, ist zwar mittlerweile Standard in der Automobilindustrie in Deutschland. Ausgereizt ist die Lean Production aber noch nicht – zumal in den digitalen Technologien noch einiges an Potenzial steckt.
So ist das beispielsweise bei der Just-in-Sequence-Montage und -Logistik. Schon seit etlichen Jahren verlangen die OEMs von ihren Zulieferern, dass sie Teile nicht nur zur richtigen Zeit, sondern auch in der richtigen Reihenfolge am Band anliefern. Wer das nicht leistet, hat häufig keine Chance. Und weil immer mehr Automobilkunden sich immer stärker individualisierte Fahrzeuge wünschen, dürfte das JIS-Prinzip bei immer mehr Teilen zum Einsatz kommen. Gut möglich, dass auch die Zeitfenster zwischen Bestellabruf und Lieferung immer kürzer werden. Daraus lassen sich zwei Schlüsse ziehen: Erstens stehen vermutlich immer mehr Zulieferer vor der Aufgabe, Prozesse und Technologien zu etablieren, um den JIS-Anforderungen gerecht zu werden. Und zweitens müssen die bereits vorhandenen Systeme so angepasst werden, dass noch flexibler geliefert werden kann und gleichzeitig die Effizienz – im Sinne der Lean-Idee – zunimmt.
Um das zu erreichen, sind eine ganze Reihe von Innovationen interessant, die im Zuge der Digitalisierung auf dem Markt aufgetaucht sind. Drei von ihnen sind aus unserer Sicht besonders wichtig:
Montage und Logistik im Just-in-Sequence-Kontext sind aufgrund des hohen Koordinationsaufwands personal- und damit kostenintensiv. Gleichzeitig kommt es darauf an, für eine hohe Geschwindigkeit und eine geringe Fehlerquote bei den Prozessen und den Produkten zu sorgen. Insofern ist es für Zulieferer empfehlenswert, den Grad an Autonomie stetig auszuweiten. Dafür sind zum einen smarte Devices erforderlich. Zum anderen müssen Daten zwischen allen beteiligten Assets und den IT-Systemen ungehindert fließen. Die Lösung, die die Bestellabrufe entgegennimmt, sollte also beispielsweise eng mit den in der Montage verwendeten Behältern verzahnt sein, um ein Pick-by-Light-Szenario zu realisieren. Interessant sind in diesem Zusammenhang etwa auch Fahrerlose Transportsysteme oder Drohnen. So könnte ein intelligenter Behälter seinen Transport im System eigenständig anmelden, wodurch sich automatisch das am besten geeignete FTS auf den Weg macht. Schlüsseltechnologien, die bei all dem kombiniert werden, sind Aktoren und Sensoren, offene Schnittstellen, standardisierte Protokolle und Formate, spezifische Unternehmenssoftware sowie Künstliche Intelligenz.
Tatsächlich nimmt die Künstliche Intelligenz – auch wenn der Begriff nicht ganz unproblematisch ist, weil es bislang kein eindeutiges Verständnis gibt – eine besondere Stellung ein. Denn erst KI versetzt Technologie in die Lage, eigenständig Entscheidungen treffen zu können. Und das ist die wesentliche Voraussetzung für Autonomie. Hinzu kommt, dass KI hervorragend Muster und Zusammenhänge in Daten erkennen kann. Sehr gut klappt das schon bei der Auswertung von Maschinendaten, wodurch sich eine vorausschauende Wartung – Predictive Maintenance – realisieren lässt. Analysen von großen Datenmengen mit KI können auch dazu genutzt werden, um Optimierungspotenziale im gesamten JIS-Prozess zu erkennen. Noch nicht ganz ausgereift ist die Bilderkennung durch KI. Um vollautomatisiert Barcodes zu erkennen oder ein FTS durch einem Shopfloor zu steuern, reicht es aber schon heute.
Trotz aller neuen Technologien inklusive KI bleiben Menschen für zahlreiche Aufgaben auch künftig unverzichtbar. Dabei werden sie häufig sehr eng mit Maschinen zusammenarbeiten – und zwar mithilfe von etlichen innovativen Interfaces. Dazu gehören unter anderem Datenbrillen, mit denen sich die Wirklichkeit simulieren (Virtual Reality) oder erweitern lässt. VR-Szenarien könnten dazu dienen, intralogistische Prozesse und Arbeitsplätze zu gestalten und testen, um mögliche Schwierigkeiten bereits während der Planung zu erkennen. Mit AR-Szenarien könnten Mitarbeiter zusätzliche Informationen zur Verfügung gestellt werden – und zwar kontextabhängig und bezogen auf ihre Blickrichtung: Der Behälter, aus dem ein Mitarbeiter ein Teil entnehmen soll, wird dann vielleicht einfach rot markiert. Oder dem Fahrer des Gabelstaplers wird die Route zum richtigen Fach eingeblendet. Vorteilhaft ist auch die Kommunikation mit Technologie über einen Sprachassistenten, weil Datenabfragen und -eingaben damit auch kontaktlos möglich sind.
Das sind drei Trends, die wir für besonders wichtig halten, weil sie für Zulieferer leicht in die bestehenden Just-in-Sequence-orientierte Prozess- und -Systemlandschaften integrierbar sind. Aber natürlich gibt es noch deutlich mehr interessante Entwicklungen: von der Blockchain bis zum 3D-Druck. Wollen Automotive-Zulieferer auch in Zukunft erfolgreich sein und ihre Bedeutung für die Hersteller weiter steigern, sollten sie den digitalen Fortschritt kontinuierlich im Blick behalten und das Potenzial neuer Technologien systematisch prüfen: Lassen sie sich für innovative Geschäftsmodelle und Produkte nutzen? Und lassen sich Prozesse damit Prozesse – vor allem die Just-in-Sequence-Prozesse – schlanker gestalten?